Contact Improvisation und Politik

Ich gehe von der Frage aus: „Ist Contact Improvisation politisch?“ und lande bei der viel interessanteren Frage „mit welcher Politik ist Contact Improvisation zu kombinieren?“

Der Begriff „politisch“

Ich benutze das Wort „politisch“ im Sinne von: auf Herrschaft und Ausbeutung bezogen; politisch ist damit nicht nur die „große“, öffentliche Politik, sondern alle Strukturen der Gesellschaft.

„Contact ist politisch“

Fast alles ist politisch. Spätestens seit der Neuen Linken und der neuen Frauenbewegung wissen wir, dass „das Persönliche politisch“ ist. Und was ist das Persönliche? Für meine Begriffe zum Beispiel Emotion, Sexualität (inklusive emotionaler „Arbeit“), private Arbeit, „Partner“- und Kinder-Eltern-Beziehung…
Der besagte Slogan bezieht sich jedoch nicht auf das Zufällige, Individuelle, sondern sozusagen auf das Allgemeine am Persönlichen.
Es ist zum Beispiel fast sicher politisch irrelevant ob ich lieber Himbeer- oder Vanilleeis esse.
Dagegen ist es politisch relevant, ob ich in Beziehungen bestimmte typische Muster habe, die mit Macht und emotionaler Ausbeutung zu tun haben.

Politisch relevant – politisch subversiv

Nur weil eine Praxis politisch relevant ist, das heißt irgendeinen, sei es noch so diffusen gesellschaftlichen Effekt hat, ist sie noch lange nicht politisch subversiv. Das nämlich würde heißen, gesellschaftsverändernde Wirkung in größerem Maßstab zu entfalten.

Subversion – Politik in der ersten Person

Als Folge einer gewissen Psychologisierung der Politik wird in linksliberal-alternativen Kreisen jede Rede über „große“ Veränderungen skeptisch bis ablehnend beurteilt, mit dem Verweis man müsse stattdessen „im Kleinen“ und „bei sich selbst“ anfangen.
So richtig das Beharren auf der Notwendigkeit persönlicher Veränderung, experimenteller Lebensformen etc ist, so grundfalsch ist meines Erachtens die einseitige Fixierung auf (so genannte) „Politik in der ersten Person“: wie die letzten 25 Jahre gezeigt haben, bleiben Lebensreform und Alternativkultur im Individuellen stecken, verbreitern bloß die Palette der Warengesellschaft, entwickeln keine gesellschaftliche Sprengkraft – und oft ist dies heimlich, schließlich auch offen nicht (mehr) gewollt; individuelle Lebensgestaltung wird aus Gründen der Selbstrechtfertigung als gesellschaftsverändernd ausgegeben.

Contact Improvisation

Wie alle Kultur ist Contact Improvisation politisch relevant. Darüber hinaus steht Contact Improvisation in einem Spannungsverhältnis zur „offiziellen“ Kultur und verkörpert eher oppositionelle Werte.
Subversiv, also an sich gesellschaftsverändernd wirksam ist Contact Improvisation meines Erachtens nicht, denn die Veränderungen die durch Contact Improvisation passieren, spielen sich in kleinen und relativ randständigen Kreisen der Mittelschicht ab; und selbst diese Veränderungen berühren unsere Lebenspraxis in der patriarchal-rassistischen Warengesellschaft mit ihren objektiven Zwängen nur geringfügig (auch wenn wir subjektiv den Eindruck haben, Contact Improvisation habe unser Leben total verändert).
Ich halte es für einen schweren analytischen Fehler, die Bedeutung kultureller Praktikender einen oder anderen avantgardistischen Szene in ihrer gesellschaftlichen Subversivität zu überschätzen.

Bündnisse

Ich meine, dass Contact Improvisation sein subversives Potential nur realisieren kann im Bündnis, in Kombination mit anderen politischen, sozialen und kulturellen Tendenzen.
Hier stellt sich für mich die Frage, nicht ob „Contact Improvisation politisch sei“, sondern mit welcher Politik Contact Improvisation zu kombinieren sei!
Meine Antwort ist selbstverständlich, dass dies eine linksradikale, subversive Politik sein soll und keine sozialdemokratische oder sonstwie reformerische.

Subkultur?

In der gegenwärtigen Lage bin ich dafür, Contact Improvisation in einer kulturell isolierten Lage zu bewahren. Ich bin nicht per se dagegen, zu versuchen, in den kulturellen mainstream einzudringen. Ich meine nur, das bei einer solchen Kraftprobe mit der hegemonialen Kultur das Risiko einer kompletten Vereinnahmung und Normalisierung besteht; dies insbesondere im gegenwärtigen reaktionären gesellschaftlichen Klima.

Daniel Mang, Januar 1994