Crossing Masculinities (DE)

Dieser Text versucht antisexistische Politik von Maennern in groessere gesellschaftliche Zusammenhaenge einzuordnen. Er diskutiert die Problematik von Maennergruppen und von Identitaetspolitik ueberhaupt. Er stellt Forderungen fuer eine Erneuerung antisexistischer Politik von Maennern auf und endet mit einem Ausblick auf Versuche, einige dieser Ideen umzusetzen.

Teil 1: Zur Verteidigung der Idee antisexistischer Maennergruppen

Ich verstehe mich seit den fruehen 80er Jahren als profeministisch2. Ich beziehe mich positiv und kritisch auf die Versuche von Maennern aus der radikalen Linken, sich in antisexistischen Maennergruppen zu organisieren, sich in diesem Sinne persoenlich zu veraendern und oeffentlich politisch zu handeln.
Antisexismus ist fuer mich heute als politisches Thema nicht weniger zentral als vor 15 Jahren. Darueberhinaus halte ich Maennergruppen nach wie vor fuer ein unverzichtbares Element einer zu entwickelnden antisexistischen Praxis von Maennern.
Ich finde Maennergruppen nuetzlich, weil sie Prozesse persoenlicher Veraenderung ermoeglichen, die in gemischten Gruppen durch den grundsaetzlichen Konflikt zwischen Maennern und Frauen im Patriarchat, der damit zusammenhaengenden Wut und Verletztheit und der Schwierigkeit, sich in die “Realitaet” der/des anderen einzufuehlen, oft sehr erschwert werden. Sie bieten eine Alternative zur ueblichen Struktur emotionaler Ausbeutung von Frauen durch Maenner und stellen eine Form dar, in der (heterosexuelle) Maenner lernen koennen, sich mehr umeinander zu kuemmern und sich intensiver auseinanderzusetzen, als das der patriarchalen Norm entspricht. Maennergruppen koennen ein grosses Potential verschuetteter Wuensche nach Kontakt, der nicht den Normen hegemonialer Maennlichkeit entspricht, freisetzen und damit auch bei der Bearbeitung der Homophobie, eines zentralen Strukturelements patriarchaler Vergesellschaftung, nuetzlich sein. Um zu vermeiden, dass Frauen Nachhilfe in feministischer Theorie geben muessen, sich konventionelle Rede- und Verhaltensstrukturen reproduzieren oder die Diskussion durch Angst vor Verletzungen gelaehmt wird, halte ich es fuer sinnvoll, viele Debatten nicht gemischtgeschlechtlich zu fuehren.
Ich interpretiere den Rueckgang dieser Praxisform “antisexistische Maennergruppen” in der BRD (im Vergleich zu den spaeten 80ern) unter anderem als Effekt eines gesamtgesellschaftlichen und szeneinternen antifeministischen “backlash”s. In der “radikalen Linken” werden feministische Teilerfolge zum Anlass genommen, das Thema patriarchale Herrschaft und Ausbeutung hintan zu stellen, Frauen haben ihre Ansprueche privat wie in der Oeffentlichkeit zurueckgenommen; entsprechend spueren vor allem heterosexuelle Maenner weniger Druck, ihre maskuline Lebenspraxis und ihre Privilegien infragezustellen.
Unter “der Maennerbewegung”3 werden im mainstream inzwischen antifeministische Vaterrechtler, “wild men” und maskulinistische Reaktionaere vom Schlage eines Robert Bly verstanden. In der linksliberalen Maennergruppenszene (Maennerbueros, Beratungsstellen) gilt Profeminismus heute im Allgemeinen als ueberholt. Linksradikale Maennergruppenstrukturen – die auch kaum je vom Beduerfnis nach positiver maennlicher Identitaet und antifeministischem Ressentiment frei waren – sind kaum noch vorhanden4. Das Bild vom backlash ist selbstverstaendlich zu eindimensional, es wird der Widerspruechlichkeit der gesellschaftlichen Entwicklung, einschliesslich der Entwicklung sozialer Bewegungen, nicht gerecht.
Die proletarisch-antikapitalistischen, antirassistischen, antikolonialen, feministischen und anderen Kaempfe der 60er und 70er Jahre sind ja nicht einfach niedergeschlagen und ausgeloescht worden, sondern in einer komplexen Mischung aus Repression und Integration zum Teil einer widerspruechlichen “Modernisierung” kapitalistisch-patriarchaler Strukturen geworden. Als Resultat dieses Prozesses hat sich Herrschaft, im Zusammenhang mit der sich intensivierenden, weltweiten Durchdringung von Gesellschaftlichkeit durch kapitalistische soziale Beziehungen, teilweise und ungleichmaessig flexibilisiert und virtualisiert5. Aehnlich vielleicht wie spaetestens in den 90ern vielerorts ein kulturalistischer “Neorassismus” auf den Plan trat und mit einem eher traditionellen Blutsrassismus koexistierte, loesen sich patriarchale Strukturen in den letzten Jahrzehnten tendenziell und teilweise von strikt biologischen Geschlechtsdefinitionen; die patriarchalen “Prinzipien” Maennlichkeit und Weiblichkeit6 funktionieren wie gehabt, muessen jedoch mit der biologistischen/naturalisierenden Sortierung von Menschen in Maenner und Frauen nicht mehr genau uebereinstimmen. Diese sich konturenhaft abzeichnenden “abstrakt-patriarchalen” Verhaeltnisse koexistieren mit einer Renaissance des Biologismus in bestimmten wissenschaftlichen Diskursen, mit einer Verschaerfung “klassisch-patriarchaler” Gewalt gegen und Ausbeutung von Frauen weltweit (die dabei ganz klar ueber ihre Biologie definiert und auf sie reduziert werden).
Eine widerspruechliche Entwicklung eben, die ich als zum Teil der inneren Widerspruechlichkeit der herrschenden Verhaeltnisse geschuldet, zum Teil als von den Kaempfen der sozialen Bewegungen hervorgebracht begreife. Zwar kann es daran, dass, gemessen an den Zielen ihrer radikalen Fluegel, die antikapitalistischen, antirassistischen, antisexistischen, gay liberation- und andere Bewegungen in den letzten 30 Jahren eine Niederlage nach der anderen erlitten haben, keinen Zweifel geben (auch wenn natuerlich Scharen von opportunistischen UeberlaeuferInnen aus der ehemaligen kritischen Intelligenz das heute versuchen anders darzustellen). Jedoch geht es mir nicht darum, z.B. den Niedergang antisexistischer Maennergruppen in eine eindimensionale Verfallsgeschichte einzuordnen. Denn: Erstens ist die Geschichte der sozialen Bewegungen der letzten 30 Jahre ebenso widerspruechlich wie die gesamtgesellschaftliche Entwicklung, deren Teil sie ja ist, das heisst es gibt in dieser Geschichte zwar Amnesie und Entradikalisierung, aber eben auch die “Entdeckung” zuvor unproblematisierter Herrschaftsformen, die Entwicklung neuer sozialer Praktiken und politischer Kampfformen, radikale theoretische Neuerungen usw.
Und zweitens hatte antisexistische Praxis von Maennern noch aus ganz anderen Gruenden Probleme. Auf diese will ich hier kurz eingehen.
Punkt 1:
Maennergruppen hatten von vornherein ein Legitimitaetsproblem: Identitaetspolitik von Privilegierten ist eben ganz und garnicht dasselbe wie Identitaetspolitik von Unterprivilegierten/Unterdrueckten. Mann konnte Maennergruppenpolitik nie aus tiefster “Betroffenheit” heraus machen und war immer mit dem berechtigten Misstrauen von FrauenLesben dieser Praxis gegenueber konfrontiert. Man musste sich zum Beispiel immer die Frage gefallen lassen, was denn nun genau eine antisexistische Maennergruppe von einem “normalen” Maennerbund unterscheidet. Auch der Verdacht, den Maennergruepplern ginge es darum, sich durch publikumswirksames Buessertum eine antisexistische weisse Weste verschaffen zu wollen, bzw. bei der ganzen Geschichte ginge es um einen mehr oder weniger subtilen Versuch, feministische Positionen zu usurpieren, um wieder eine dominante Sprecherposition, nun auch auf dem “Feld” des Antisexismus, einnehmen zu koennen, war nie so einfach von der Hand zu weisen. Dies alles war fuer viele Grund genug, von der Maennergruppenpraxis abzulassen bzw gar nicht erst damit anzufangen.
Punkt 2:
Mit der Entwicklung und Ausdifferenzierung sozialer Bewegungen – die zwar in einem von politischen Niederlagen emanzipatorischer Ansaetze gepraegten Klima stattfanden, von diesem aber eben nicht vollstaendig determiniert wurden – verstaerkte sich die Kritik an bestimmten Formen von Identitaetspolitik (wie man das dann spaeter nannte): In den USA waren es unter anderem schwarze Frauen und Latinas, die das Kollektivsubjekt Frau, in der Form wie es die US-amerikanische Frauenbewegung der 70er Jahre konstruiert hatte, infragestellten. Zur Destabilisierung der Kategorie Frau trugen ebenso verschiedene Kaempfe von Lesben um Sichtbarkeit und Anerkennung ihrer Existenz innerhalb der Frauenbewegung(en) in verschiedenen Laendern bei.
Auf die antisexistischen Maennergruppen in der BRD bezogen7 gab es z.B. Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre einen Differenzierungsschub, in dem sich linksradikale Schwule von linksradikalen heterosexuellen Maennern mit antisexistischem Anspruch mehr und mehr trennten; die gaengige, unausgesprochenen Gleichsetzung von Mann mit Hetero wurde vielen (vor allem den Heterosexuellen) zu diesem Zeitpunkt erst wirklich bewusst und der Kritik zugaenglich8.
Punkt 3:
Mit der gegenueber z.B. Frankreich, Britain und den USA “verspaeteten” Rezeption poststrukturalistischer Ansaetze in der BRD, die in den 90ern aus den Unis schliesslich mehr und mehr auch in die aktivistische radikale Linke durchsickerte, den feministischen Debatten um J. Butler’s “Gender Trouble”9, dem Mitte bis Ende der 90er in Teilen der Restlinken erwachenden Interesse fuer queer theory10…, verbreitete sich bei vielen, die sich fuer das Geschlechterverhaeltnis (“gender und so”) interessierten – so hiess das jetzt, der Begriff “Patriarchat” galt manchen nun als “zu monolithisch” – eine grundsaetzliche Skepsis gegenueber jeglicher Identitaetspolitik.
Obwohl ich die Ausweitung und Festigung eines “sexistischen Konsens” innerhalb der gemischten linken Szene in den letzten 10 Jahren behaupte und auch den Niedergang antisexistischer Maennergruppen damit in Zusammenhang bringe, will ich diese Entwicklung, das sollte deutlich geworden sein, nicht auf einen Effekt eines eindimensional vorgestellten antifeministischen backlash reduzieren. Ich nehme sowohl das grundsaetzliche Legitimitaetsproblem einer Identitaetspolitik von Privilegierten ernst (Punkt1), als auch die Kritik an Identitaetspolitik ueberhaupt (Punkt 2&3).
Ich fand die Versuche von Maennern antisexistische Politik zu machen in den 80er Jahren schon ziemlich jaemmerlich, es gibt fuer mich also nicht den geringsten Grund zu einer wie auch immer gearteten politischen Nostalgie. Dennoch finde ich die Situation, was Maenner und Antisexismus hierzulande betrifft, heute im Grossen und Ganzen noch schlimmer als vor 15 Jahren. Ich bin nicht der Meinung, antisexistische Politik von Maennern koennte oder sollte heute so sein wie vor 10 oder 15 Jahren. Aber sie sollte sein.
Zu den Problemen antisexistischer Praxis von Maennern, Maennergruppen insbesondere, habe ich folgendes anzumerken:
Zu Punkt 1, dem grundsaetzlichen Legitimitaetsproblem von Maennergruppen:
Ich halte antisexistische Politik von Maennern grundsaetzlich nicht fuer weniger legitim als z.B. den “weissen” Antirassismus und aergere mich immer wieder darueber, dass hier oefters mit zweierlei Mass gemessen wird. Darueberhinaus glaube ich, dass Politik, die versucht, sich ihre Motivation ausschliesslich oder auch nur hauptsaechlich aus Betroffenheit und Opfer-Sein zu holen, zum Scheitern verurteilt ist. Sie muss die komplexe Situiertheit von Menschen in verschiedenen Machtnetzen und die uneinheitliche Zusammengesetztheit von Subjektivitaet, die sich entwickelt und sich je nach Situation veraendern kann, verleugnen und sich scheinbar einheitliche, betroffene und gute Subjekte herbeikonstruieren.
Das soll nun ueberhaupt nicht heissen, dass es nicht moeglich und wichtig waere zu benennen, wer in Bezug auf eine bestimmte Tat Taeter und wer Opfer ist, wer in Bezug auf eine bestimmte Ausbeutungsstruktur privilegiert und wer unterprivilegiert ist. Das ist sogar ultrawichtig. Mein Punkt ist aber, dass zum einen eben kein Subjekt sich im Opfersein oder im Taetersein, im Mannsein oder im Schwarz-Sein erschoepft; kein Mensch ist in jeder Faser seines/ihres Seins von irgendwelchen Identitaetsbestimmungen durchdrungen. Und zum anderen sind die Zusammenhaenge zwischen dem, was mensch “objektive gesellschaftliche Situiertheit” nennen koennte einerseits, und politischer Motivation andererseits manchmal sehr vermittelt, komplex und undurchsichtig. Es geht mir nicht, wie bestimmten postmarxistischen Intellektuellen11, darum, den Zusammenhang zwischen “materieller Lage” und politischem Bewusstsein komplett zu bestreiten. Ich behaupte jedoch die Notwendigkeit und Legitimitaet politischen Handelns von Privilegierten in Bezug auf genau die Herrschaftsstrukturen, die sie privilegieren:
“Emanzipation ist nicht nur die Befreiung von äusseren, sondern auch von inneren Zwängen. Es geht nicht nur um die Veränderung von Strukturen zwischen Menschen, sondern auch in Menschen – überhaupt macht es oft keinen Sinn, zwischen Strukturen ausserhalb und innerhalb von Individuen zu unterscheiden: das ist eine bürgerliche Illusion. Emanzipation besteht auch in der Befreiung von systemkonformen Wünschen (denunziatorisch: Süchten) und der Entfaltung systemüberschreitender Wünsche. In diesem Kontext wollen wir die Aussage verstanden wissen, daß Linksradikalität gerade darin besteht, gegen die eigenen Interessen -als Männer, als Weiße- zu handeln und für unser Verlangen nach Autonomie und Kollektivität einzutreten. Wir fänden es wichtig, daß Männer ihre Männlichkeit, Weiße ihre Weißheit, allgemein gesagt: Privilegierte ihre als normal und universell daherkommende unmarkierte Differenz zum Problem, zum Politikum machen würden.”12
Was den in Punkt 1 angesprochenen “Usurpationsverdacht” betrifft: ich glaube, solches Misstrauen kann niemals gaenzlich ausgeraeumt werden; es bleibt Maennern mit antisexistischen Anspruechen nichts anderes, als die eigene Motivation immer wieder kritisch zu befragen13, moeglichst ohne darueber gaenzlich handlungsunfaehig zu werden. Ich komme in diesem Zusammenhang noch einmal auf den Vergleich Antirassismus / Antisexismus zurueck: Rassistische wie sexistische Haltungen sind grundsaetzlich ambivalent. Begehren und Ekel bedingen sich gegenseitig wie Slum und Palast. “Die Anderen” sind genauso Projektionsflaeche weissen Begehrens wie weisser Aengste. Exotismus bzw rassistische Romantisierung/Xenophilie sind von ‘wahrhaft’ antirassistischen Einstellungen nicht so einfach zu unterscheiden, wie mensch das gerne haette. Was fuer den Antirassismus von Weissen gilt, gilt auch fuer den Antisexismus von Maennern: Der enge Zusammenhang von Frauenhass und –verachtung einerseits, (maennlichem hetero-) sexuellem Begehren und romantischer Idealisierung andererseits ist ja bekannt. Manche Formen des heterosexuellen maennlichen Profeminismus entpuppen sich bei naeherem Hinsehen als hoechst suspekte Spielarten romantischer Idealisierung. Maennlichen Beteuerungen profeministischer Solidaritaet einfach zu vertrauen waere naiv, sie ohne weiter zu differenzieren als subtilen Sexismus und taktisches Gerede abzutun wird den komplexen Realitaeten nicht gerecht. Wirkliches Vertrauen zwischen Privilegierten und Unterprivilegierten in einer von Herrschaft und Ausbeutung gepraegten Gesellschaft kann es meiner Ansicht nach sowieso nur punktuell geben, und dann unter Leuten, die sich etwas besser kennen.
Zu Punkt 2 und 3, Identitaetspolitik ueberhaupt:
“Es geht um den Entwurf einer strategischen Identitaetspolitik, die Einheiten ueber Differenzen hinweg konstruiert, ohne die Differenzen zu leugnen und ohne die Einheiten als natuerlich zu setzen; die sich der Gefahren der Essentialisierung, Naturalisierung, Homogenisierung bewusst bleibt. Daraus folgt ein pragmatischer und flexibler Umgang mit ‘identitaetsbestimmten Gruppen’, eine unaufhoerliche Problematisierung von Homogenisierung nach innen und Abgrenzung nach aussen.”
Und:
“Identitaetspolitik privilegierter Gruppen wirft voellig andere Problematiken auf als die unterprivilegierter/unterdrueckter Gruppen. Identitaetspolitik Privilegierter kann nur als selbstaufhebende oder “negative” Identitaetspolitik progressive Praxis sein. Das bedeutet, dass das Ziel der Aufhebung der eigenen Identitaet14 nicht nur – wie in jeder nicht-reaktionaeren Identitaetspolitik – praesent sein muss, sondern ganz klar im Vordergrund stehen und den Propagandisten der Maennlichkeit, der Heimat, der Nation und sonstiger Widerwaertigkeiten kompromisslos entgegengesetzt werden sollte.”15
Zu Punkt 3, Identitaetskritik und “postmodernes Denken“:
“Linksradikales Denken bedeutet fuer mich ganz entscheidend, zu versuchen die gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen der eigenen theoretischen Werkzeuge zu reflektieren. Linksradikale Theorie heute heisst fuer mich, mit poststrukturalistischen Ideen, durch die postmoderne Kritik hindurch die klassischen linken Ansaetze zu hinterfragen, das was historisch ueberholt ist (und das was schon immer falsch war), zu verwerfen; und zugleich, im selben Prozess, das – unser – ‘postmoderne(s) Denken’ als einen Aspekt der Ideologie der juengsten Entwicklungsstufe der globalen patriarchalen Klassengesellschaft zu begreifen und zu versuchen eine kritische Distanz dazu einzunehmen.”16
Poststrukturalistische Ansaetze insgesamt und pauschal als theoretische und politische Fortschritte gegenueber “klassischen” linken/feministischen Ansaetzen einzuschaetzen finde ich ziemlich problematisch17; “das postmoderne Denken” dagegen pauschal und ausschliesslich als Ausdruck von Entradikalisierung bzw als theoretische Verfallserscheinung zu begreifen, kommt mir absurd vor.
Es kommt wie immer darauf an, sich genau anzuschauen, zu welchen Zwecken welche Kritiken wann von wem eingesetzt werden.
Antiessentialistische Kritik an Identitaetspolitik wurde z.B. in autonomen Debatten der 90er Jahre benutzt um (pro)feministische Politik ueberhaupt zu diffamieren. Die “Identitaetsfeministin” wurde als neues Feindbild aufgebaut und “Identitaetspolitik” als die Wurzel alles politischen Uebels erkannt18. Generell wird in krypto-antifeministischen19 Diskursen innerhalb der “linksradikalen” Szene in den letzten Jahren gerne der Sexismusbegriff “pseudo-dekonstruktivistisch” verunstaltet, indem die Problematisierung des Herrschaftsverhaeltnisses von Maennern ueber Frauen ausgeblendet und die Gewalt der identitaeren Geschlechtsstereotypisierung davon abgetrennt und als das ausschliesslich und eigentlich am patriarchalen Geschlechterverhaeltnis zu Skandalisierende ausgemacht wird20.
Das soll nun ueberhaupt nicht heissen, poststrukturalistische Identitaetskritiken wuerden irgendwie an und fuer sich antifeministischen Bestrebungen Vorschub leisten. Zwar bietet der dekonstruktive Feminismus, verstanden als Selbstkritik der feministischen Bewegung, in emanzipatorischer Absicht unternommen, Leuten Stichworte und Denkfiguren, deren Verhaeltnis zur feministischen Kritik niemals ein solidarisches war. Aber das ist eben der Nachteil von Selbstkritik und unvermeidlich.

Teil 2: Ansaetze zu einer kritischen Erneuerung antisexistischer Politik von Maennern

Wenn antisexistische Politik von Maennern eine Zukunft haben soll, von der sich zu sprechen lohnt, muss die Organisierung in Maennergruppen meiner Ansicht nach Teil eines Organisierungsansatzes werden, der gleichermassen die gesellschaftliche Realitaet und Wirkungsmaechtigkeit von Identitaetskonstruktionen ernstnimmt, wie auch Widerstand gegen die ausschliessende und homogenisierende Gewalt von Identitaeten zu leisten versucht. Es gilt, sich dem Gegensatz identitaer-antiidentitaer, Identitaetspolitik-Identitaetskritik zu verweigern.
Das koennte praktisch die Gleichzeitigkeit und Ueberschneidung gemischter und getrennter Organisierungen in einer Buendnisstruktur bedeuten.
Die Kritik an den homogenisierenden und ausschliessenden Effekten von Geschlechtskategorien muesste viel mehr in das “Programm” antisexistischer Maennergruppen eingehen, als das meines Wissens in der BRD je der Fall war. Das bedeutet fuer mich in erster Linie, sich mit den Differenzen zwischen Maennern auseinanderzusetzen. Es bedeutet viel ernsthafter als bisher die Tatsache zu problematisieren, dass im Bedeutungsfeld “Maennergruppen, Maenner’bewegung’” der Begriff “Mann” die Assoziation “weisser, heterosexueller Mann aus den neuen Mittelschichten” aufruft. Weisse heterosexuelle buergerliche Heterogruppen sollten sich meiner Ansicht nach zukuenftig auch so nennen – oder irgendwie anders, aber auf jeden Fall nicht einfach “Maennergruppen”. Es muesste viel ernsthafter als bisher die Auseinandersetzung ueber Klassenunterschiede zwischen Maennern, ueber verschiedene Typen von Maennlichkeiten (unterworfene, komplizenhafte, hegemoniale…) gefuehrt werden. Es muessten (wieder) Versuche gestartet werden, Dialoge zwischen heterosexuellen, bisexuellen und schwulen linken, antisexistischen Maennern zu fuehren.
Und natuerlich faende ich eine Auseinandersetzung ueber den politischen Status von Maennlichkeit mit FrauenLesben, intersexuellen, transsexuellen (FTM wie MTF) und transidentischen Leuten superwichtig. Bevor sowas klappen koennte, haetten viele linke Maenner mit antisexistischem Anspruch allerdings noch so die eine oder andere Hausaufgabe zu erledigen, glaube ich. Um es mal vorsichtig auszudruecken.
Ein anderes weites Feld ist natuerlich die ethnische Verengung der “traditionellen” Maennergruppenpraxis. Maennlichkeit ist eine Ressource, die neben ethnischer Zugehoerigkeit, Klasse usw eingesetzt wird um Status zu erlangen; verschiedene rassifizierte/ethnische Identitaeten beinhalten verschiedene Maennlichkeitsformen. Die Unterschiede zwischen Maennern unterschiedlicher ethnischer Zugehoerigkeit/Herkunft muessten viel ernster genommen, die Verletzungspotentiale einer Kommunikation ueber diese Unterschiede hinweg viel mehr beachtet werden als ich es bisher je erlebt (bzw selbst praktiziert) habe. Voraussetzung fuer eine bessere Kommunikation zwischen weissen Maennern der Mehrheitsgesellschaft und Maennern mit migrantischem Hintergrund waere eine intensive Auseinandersetzung ersterer ueber verinnerlichte rassistische und antisemitische Stereotype, ueber Bilder von den “anderen” Maennern, die Neigung “boese”, “nicht korrekte”, verleugnete und abgespaltenen Anteile auf die “anderen Maenner” zu projizieren etc.
Die Analyse des deutschen Antisemitismus, ob in der Linken oder im mainstream, ist bisher weitgehend eine Angelegenheit groesstenteils geschlechtsblinder maennlicher Theoretiker geblieben. Es waere hoechste Zeit, den Zusammenhang von Sexismus und Antisemitismus, von Deutschsein und Mannsein theoretisch und selbsterfahrerisch zu erforschen und daraus Ansaetze fuer die politische Praxis zu gewinnen.
Auch was die Thematisierung von Sexualitaet (ein “klassisches” Maennergruppenthema) betrifft, wuerde ich mir ein paar neue Ansaetze wuenschen:
Angesichts der antifeministischen Offensive in der aktuellen Vergewaltigungsdebatte in der deutschen “linksradikalen” Szene waere eine moeglichst breite Auseinandersetzung ueber Sexualitaet meiner Ansicht nach heute notwendiger denn je. Ich finde viele Szene-Menschen was dieses Feld betrifft theoretisch ziemlich desorientiert, und mit irgendwelchen Formen der Kommunikation ueber Sexualitaet jenseits der buergerlichen Privatsphaere sieht es nach meinen Erfahrungen relativ schlecht aus: dass in den linken Milieus die mir vertraut sind, eine wirklich deutlich positiv vom gesellschaftlichen mainstream sich unterscheidende verbale und somatische Kommunikation ueber erotische Wuensche und Grenzen sich etabliert haette, kann ich nicht erkennen.
Ich glaube, dass Maennergruppen ein angemessener Ort fuer das Sprechen ueber Sexualitaet sein koennen. Ich finde aber ueberhaupt nicht, dass Maenner ausschliesslich oder hauptsaechlich in Maennergruppen ueber Sexualitaet sprechen sollten. Das Argument, das oft von Befuerwortern von Maennergruppen angefuehrt wurde, dass man(n) in Maennergruppen einfacher ueber Sexualitaet reden koennte, hat mich schon immer kribbelig gemacht. Zum einen setzt diese Aussage unausgesprochen voraus, die Maennergruppe sei ein entsexualisierter und deshalb konfliktarmer Raum, wohl weil angenommen wird, alle Maenner die mitmachen sind stockhetero und wollen eh nix voneinander, so dass mann jetzt mal ganz in Ruhe ueber die Probleme mit den Frauen reden koennte. Diese unausgesprochene Annahme geht mir auf die Nerven, und eine Gruppe, die wirklich so funktionierte faende ich eine eher konservative Einrichtung und ausserdem sterbenslangweilig. Zum anderen finde ich es ziemlich problematisch, wenn heterosexuelle Maenner anderen Maennern Dinge ueber ihre Sexualitaet erzaehlen, die sie den Frauen, mit denen sie zu tun haben selbst, aus Angst vor Konflikten oder Scham oder was weiss ich, nicht erzaehlen. Als Uebergangsloesung mag das unter bestimmten Umstaenden angehen, aber auf Dauer ist das nichts anderes als eine maennerbuendische Praxis.
Eine weitere Problematik der Auseinandersetzung ueber Sexualitaet in Maennergruppen – wie auch fast ueberall sonst – ist die gaengige Verengung des Feldes des Erotischen auf das Geschlechtliche. Tatsaechlich sind ja saemtliche Formen von kultureller, ethnischer… Differenz erotisiert, Sexualitaet bezieht sich nie nur auf Geschlecht sondern eben immer auch auf Rasse, Klasse, Ethnie undsoweiter21. Wenn sexual politics kein von weissen buergerlichen Perspektiven dominiertes Feld bleiben soll, ist es meiner Ansicht nach dringend notwendig unter anderem die rassistischen Dimensionen von Sexualitaet herauszuarbeiten und politisch in den Vordergrund zu stellen22.
Falls nun der Eindruck entstanden sein sollte, mir wuerde sich Sexualitaet in erster Linie als ein Buendel von Herrschaftsstrukturen darstellen – dem ist nicht so. Ich halte zwar nichts davon, die gute Sexualitaet von der boesen Gewalt schematisch zu trennen23, Herrschaft ist Sexualitaet nicht aeusserlich, sie wirkt in ihr und durch sie und konstituiert sie mit. Andererseits finde ich es voellig falsch, Sexualitaet auf Herrschaft zu reduzieren.
Zwar entsteht Sexualitaet, so wie ich das verstehe, indem Lueste per Sozialisation unter ein genitales Primat gezwungen und heterosexualisiert werden. (Eine Befreiung von dieser Sexualisierung waere auch eine Befreiung zu anderen Sexualitaeten, oder post-sexuellen Praktiken – wie immer das dann eben heissen wuerde – die nicht mehr die “Last” zu tragen haetten, diese weltliche Religion, die der moderne Sex ist, diese einzige Form ekstatischer Befriedigung und energetischen Austauschs24, die Menschen zur Verfuegung steht, zu sein).
Andererseits lebt im Sexuellen eben diese Vielfalt der Lueste fort, die systemkonforme Formierung des Sexuellen scheitert genauso notwendig wie die Konstruktion eindeutiger Geschlechtsidentitaeten letzlich scheitern muss. Und deswegen besitzt Sexualitaet eine eigene “Logik” die sich nicht vollstaendig auf Politik und Diskurs reduzieren laesst.

Teil 3: Ausblicke und Ansaetze

Seit Juni 2001 gibt es Bestrebungen, ein groesseres, ueberregionales Treffen zu organisieren, das einen Ansatz fuer eine neue antisexistische Politik von Maennern bieten soll. Es kursiert auch ein entsprechender Text, “Zum Verschwinden der antisexistischen Maennergruppenszene”. Wer Interesse daran hat, wende sich an: [email protected] bzw: “sissies” c/o Infoladen Bankrott, Dahlweg 64, 48153 Muenster.

Das Antiracist Antisexist Summer Camp Project, bei dem ich seit Beginn an mitarbeite, plant vom 17.-20. Januar 2002 in Bremen die “Crossover Conference”.
In unserer Selbstdarstellung vom Fruehjahr 2001 heisst es:
“Unser Ausgangspunkt ist die Ueberzeugung, dass die verschiedenen gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhaeltnisse untrennbar miteinander verknuepft sind, sich also wechselseitig durchdringen und stabilisieren. Daraus wollen wir Konsequenzen ziehen.
Unser Ziel ist es, zum Aufbau einer neuen Konstellation politischer Stroemungen beizutragen.
“Neue Konstellation” heisst fuer uns: Endlich sollen antisexistische Positionen nicht mehr von FrauenLesbenzusammenhaengen gegen den passiven Widerstand der Mehrheit durchgekaempft werden muessen, sondern selbstverstaendlich sein; und endlich sollen Maenner aus eigener Initiative antisexistische Politik machen. Wir wollen ein Ende der Dominanz der heterosexuellen Kultur in der radikalen Linken, fuer die Schwule unterhaltsame bunte Einsprengsel sind, in der Lesben nahezu unsichtbar und Intersexe und Transgenders hoechstens Objekt wissenschaftlicher Neugierde sind.
Unter einer neuen Konstellation stellen wir uns ausserdem eine vor, in der migrantische und juedische Leute, people of color… (egal, an welchem Ort aufgewachsen) selbstverstaendlich sind; wo die Umgangsformen und die Sprache der Mehrheitsgesellschaft nicht die Norm sind und weisse AntirassistInnen sich mit ihren eigenen Rassismen praktisch auseinandersetzen, anstatt nur fuer und ueber die sogenannten Unterdrueckten zu sprechen.
Und nicht zuletzt wollen wir ein Buendnis, in dem es Leuten aus den Mittelschichten so schwer wie möglich gemacht wird, ihre Normen, Interessen und Selbstverstaendlichkeiten als das Normale, Interessante und Selbstverstaendliche durchzusetzen.”

Diese edlen Ziele bleiben Lichtjahre entfernt. Ich begreife die conference als einen Zwischenschritt auf dem Weg zu einem Camp im Sommer 2002 und in Richtung neue Buendnisse, neue Kampagnen.
Das Programm fuer die conference ist noch in Arbeit, wer mehr wissen moechte, wende sich an [email protected] bzw. summercamp c/o A6-Laden, Adalbertstr. 6, 10999 Berlin oder besuche unsere web site www.summercamp.squat.net.

Daniel Mang – danielmang at gmail dot com