Der folgende Text ist eine Art “Offener Brief an die Radikale Linke”. Geschrieben habe ich ihn erstens weil es mich danach verlangte, einige seit langem sich entwickelnde Gedanken endlich offensiv zu formulieren, zweitens in der Hoffnung, daß einige der Inhalte im Prozeß der Neuorientierung der Restlinken wirksam und nützlich sein könnten.
Kontext
Linksradikale Kritik an den herrschenden Verhältnissen bleibt unvollständig, wenn sie nicht die realen Verflechtungen zwischen ausbeuterisch-herrschaftlichem Naturverhältnis, hierarchisch-dichotomem Geschlechterverhältnis, autoritärer Zurichtung der Körper und repressiver Formierung der Emotionalität erkennt. Ohne Verständnis dieser Zusammenhänge wird es kein adäquates Verständnis des Rassismus und keine kritisch-marxistische Reflexion auf der Höhe der Zeit geben.
Den patriarchalen Kapitalismus als natur-, gefühls- und körperfeindlich zu kritisieren hat mit rechter Romantik und Gegenaufklärung nicht das geringste zu tun sondern ist Aufklärung der Aufklärung.
Notwendig wäre es, die symbolischen Dichotomien Natur/Kultur, Körper/Geist, Gefühl/Vernunft, Weiblichkeit/Männlichkeit zu problematisieren und zumindest im Denken tendenziell aufzuheben.
Der Rationalismus der Mehrheitslinken, der in genau diesen Dichotomien gefangen bleibt, richtet, das ist nicht überraschend, gegen die Anziehungskraft der bürgerlichen Kulturkritik, hierzulande meist anti-westlicher, völkisch-romantischer Tendenz, überhaupt nichts aus.
Subjektivität und Subjektivismus
Subjektivität heißt in diesem Zusammenhang: Emotionalität und Leiblichkeit.
Die gesellschaftliche Tendenz zur medialen Inszenierung von Gefühl, Authentizität, Erfahrung entspringt gerade der zunehmenden realen Erfahrungsarmut und emotionalen Leere im “späten” Kapitalismus.
Selbstverständlich ist es nötig, sich des Subjektivitätskults zu erwehren, sich der falschen Unmittelbarkeit zu verweigern.
Genau das tut die Mehrheit der Linken in Deutschland jedoch nicht, sondern pendelt zwischen schwülstigem Subjektivismus und knochentrockenem Rationalismus hin und her.
Solange die Linke sich nicht mit ihrem eigenen Unbewußten beschäftigt, wird sie Opfer ihrer Projektionen bleiben
Die Geschichte der Suche nach dem revolutionären Subjekt seit ’68 ist die Geschichte einer sich als revolutionär selbstmißverstehenden Linken, die sich durch unreflektierte Projektionen eigener Wünsche auf die Folie des Politischen den Zugang zur ganz und gar unrevolutionären sozialen Realität verbaut hat.
Die quasi-halluzinatorische Verkennung der metropolitanen Arbeiterklasse als potentiell revolutionär, die völlige Fehleinschätzung der Realität der nominalsozialistischen Gesellschaften, die Unfähigkeit der deutschen Linken, ihren eigenen Antisemitismus als solchen zu erkennen – all dies sind systematische Wahrnehmungsstörungen einer Linken, die sich weigert nach innen zu schauen und so ihr Inneres als wahnhafte Projektion im politischen “Außen” wiederfindet.
Eine Linke, die sich nicht mit den eigenen rassistischen Anteilen auseinandersetzt, die nicht in der Lage ist zu verstehen, daß die Machtverhältnisse uns durchkreuzen, daß der “Feind” immer auch in uns ist, wird von der Wirksamkeit rassistischer und antisemitischer Stereotype immer wieder überrascht werden.
Stereotype der westlichen Kultur über Weiblichkeit sind eng mit denen über Rasse, Sexualität, Krankheit/Gesundheit verwoben. Es kann kein adäquates Verständnis des Rassismus getrennnt von einem Verständnis des Sexismus geben.
Ein Antirassismus ohne Antisexismus ist ein geschwächter Antirassismus.
Wenn Männer der linken Szene Antirassismus als Mittel verwenden, Auseinandersetzungen um das Geschlechterverhältnis zurückzudrängen – und genau das ist in den letzten 10 Jahren geschehen – ist das auch eine Katastrophe für die Linke und für den Antirassismus.
Subjektivität und die Linke
Die Linke reproduziert die reale Körper- und Gefühlsfeindlichkeit der herrschenden Kultur.
Dies ist m.E. die wahre Ursache für die rigide Abwehr vieler Linker gegen “lebensreformerische” Praktiken, gegen z.B. die “Psycho”- oder die “Tanz/Theater”-“szene”.
Eine kritische Auseinandersetzung findet fast nicht statt, stattdessen angstvoll-ignorante, stigmatisierende Abgrenzung.
Die eigene Körper- und Gefühlsfeindlichkeit sind Stützen der politischen Identität, die politische Aktivität bezieht ihre Energie oft aus der eigenen Neurose. Dies ahnend, wehrt sich der/die durchschnittliche Linke gegen allzu weitgehende Beschäftigung mit seinem/ihrem “Innenleben”, aus Angst der eigenen Motivation und Identität verlustig zu gehen.
Diese Angst ist durchaus berechtigt, denn die Entdeckung der eigenen Subjektivität hat dann tatsächlich oft die rapide Entpolitisierung zur Folge. Das liegt aber nicht in der Natur der Sache sondern daran, daß “Politik” und “Subjektivität” gesellschaftlich als getrennt konstruiert sind. Dies schlägt sich zum Beispiel in der Konstitution einer verkopften, coolen, verbissenen Politszene und einer politisch weitgehend verblödeten Tanz/Theaterszene nieder.
Schluß damit.
Die radikale Linke muß endlich Subjektivität als zentrales politisches Terrain begreifen und Praktiken persönlicher Veränderung in ihrer Kultur verankern.
Die Ressourcen sind vorhanden, was fehlt ist die kritische Durchdringung und Aneignung der in den diversen apolitischen Szenen kursierenden Praktiken und Ideen.
Konkret…
…schlage ich vor
1. die Kombination von “Therapie ohne Therapeuten” (Radikale Therapie, Co-counseling) mit politischer Bildung und Aktion in einer Gruppenstruktur zu erproben.
2. statt rein theoretisch, mit ganz viel Theweleit und so, Körperpanzer und Schwanzfixiertheit von Männern zu beklagen, lernt mal was, Jungs, über Körperarbeit und Körperbewußtsein! Macht mal Bewegung die weder Kampf noch Sport ist…
Therapie und Politik
Obwohl ich für die Politisierung des Emotionalen plädiere, ist mir klar, daß persönliche Veränderung anders funktioniert als politische Arbeit. Politisches Bewußtsein bringt uns die Einsicht, daß, je mehr privilegierten Gruppen wir angehören, desto weniger Aspekte unserer hergebrachten Identität etwas sind, worauf wir unser Selbstbewußtsein stützen oder stolz sein können.(Es ist eben einfach nicht “OK” ein Mann zu sein). Dieses Bewußtsein kann sich sehr leicht an den Selbsthaß koppeln, der in allen Menschen in dieser Gesellschaft aus ganz anderen, verschiedensten Gründen steckt. Und Selbsthaß bringt keinen therapeutischen Prozeß weiter, im Gegenteil.
Wohl kann es auch für einen Prozeß der persönlichen Veränderung wichtig sein, Verantwortung zu übernehmen für das was man ist und was man tut oder getan hat; den Schmerz derer, die man willentlich oder unwillentlich verletzt hat, an sich heranzulassen.
Aber es ist unmöglich, sich tiefgreifend zu verändern, Unbewußtes aufsteigen zu lassen, wenn man nicht aufhört damit, sich ständig zu verurteilen, zu zensieren, zu hassen.
Es geht also um eine Balance zwischen politischem Bewußtsein und persönlicher Veränderung; eine Balance, die in den meisten Therapien nicht gefunden wird, weswegen ich auch sehr skeptisch bin bezüglich der emanzipatorischen Wirkung vieler Therapien.
Identität
Die symbolische Abwertung von Weiblichkeit muß bekämpft werden. Erst in diesem Zusammenhang macht es politischen Sinn, die Konstruktion Weiblichkeit und Geschlecht “an sich” kritisieren bzw. abschaffen (oder “dekonstruieren”, wie es modisch heißt) zu wollen.
Das Positive an Identitäten ist ihre Funktion als Schutzvorrichtungen und Kampfinstrumente. Die Forderung, sie mitten im Kampf auseinanderzubauen, zeugt entweder von politischer Naivität oder von bösen Absichten den emanzipatorischen Bewegungen gegenüber, die diese Identitäten benutzen. (Deshalb auch ist ja die “Dekonstruktion” des Geschlechts in letzter Zeit bei Männern so beliebt, die radikalfeministischen, noch dazu separatistischen Positionen noch nie so recht etwas abgewinnen konnten.)
Die Frage einer positiven Identität stellt sich völlig unterschiedlich, je nachdem ob es sich um die Identität einer privilegierten oder unterdrückten Gruppe handelt.
Außerdem finde ich es zweifelhaft, nationale, “rassische”, geschlechtliche Differenz alle mit demselben Oberbegriff Identität zu traktieren. Da geht das identifizierende Denken zu weit.
Was das Geschlecht betrifft, akzeptiere ich die Identität Frau solange sie Mittel im Geschlechterkampf ist und nicht als Ewig-Natürliches gesetzt wird. Die Notwendigkeit einer positiven männlichen Identität sehe ich nicht.
Macht und Glück
Ohnmacht macht zwar unglücklich, Macht deswegen noch lange nicht glücklich. Diese Binsenweisheit sollte man einmal ernstnehmen. Meiner Ansicht nach werden in vielen Diskussionen über “Politisches und Persönliches” die Ebenen “Macht-Ohnmacht” und “Glück-Unglück” vermengt.
Zum Beispiel:
Männer werden als Männer nicht unterdrückt, sie sind in ihrer Eigenschaft als Träger sozialer Männlichkeit (gender!) 100% Täter, niemals Opfer. Männer können rassistisch unterdrückt sein, oder als Lohnarbeiter, oder wegen einer abweichenden sexuellen Orientierung, oder wegen sonstiger unzureichender Erfüllung der Normen dominanter Männlichkeit, an denen sich schließlich alle zu orientieren haben. Dies sind Unterdrückungsverhältnisse ganz unterschiedlicher Art und Intensität. Aber als Männer, d.h. insofern diese Menschen die Normen der (jeweils) gesellschaftlich dominanten Männlichkeit erfüllen, sind sie nicht unterdrückt.
Daß sie als Männer nicht unterdrückt sind, heißt jedoch nicht, daß sie deswegen glücklich sind.
Die Radikale Therapie kennt für das Leiden des Unterdrückers den Begriff “Täterschmerz”.
Wie man über Glück und Unglück denkt, hängt letzten Endes von Annahmen über die Natur der Menschen ab.
Hier steht der hier skizzierte Ansatz im Gegensatz zum zeitgemäß naturvergessenen Soziologismus, der die Wünsche und den Leib niemals als Quelle von Widerstand verstehen kann, da er das “Subjekt” für restlos gesellschaftlich konstituiert hält.
So ist auch Butler (1990), finde ich, darin zu kritisieren, daß “sie die Naturgrundlage völlig in Diskursivität auflösen will” und daß “Leiblichkeit und die spezifische sinnliche Erfahrung, die daraus resultiert, in ihrem Ansatz nicht adäquat erfaßt” werden (Musfeld 1996, p27).
Ich beharre darauf, daß naturgegebene menschliche Grundbedürfnisse nach Kontakt und Anerkennung existieren, die nur in einer solidarischen und freien Gesellschaft voll befriedigt werden können.
Daraus folgt, daß auch die Allerprivilegiertesten Grund haben, das System zu hassen, weil es sie nämlich unglücklich macht.
Das Problem mit dieser Argumentation ist, daß die “Unglücksebene” regelmäßig benutzt wird um die “Machtebene” aus der Diskussion zu drängen.
Im Geschlechterkampf bekommt das Ganze noch eine Ebene, denn nicht nur sprechen Männer liebend gerne von ihrem Leiden z.B. genau dann wenn sie für Übergriffe gegen Frauen zur Rechenschaft gezogen werden sollen, auch die gesamte patriarchale Kultur und ihre ganze Sozialisation legen es Frauen nahe, Verständnis für das Leiden der anderen zu zeigen, mitzufühlen, nicht “aggressiv” das eigene Interesse zu vertreten, kurz, ihre Unterdrücker emotional zu reproduzieren.
Durch die Schuldentlastungsversuche von Männern über die “Unglücksebene” in Kombination mit der Tatsache, daß Frauen sich permanent mit dem inneren wie äußeren Zwang zur emotionalen Reproduktion auseinanderzusetzen haben, gestalten sich gemischte Diskussionen über das Innenleben der Männer, über was Männer “psychisch” zu ihrem patriarchalen Tun motiviert usw. meist wenig produktiv.
Die Verständnisbarriere, die diese Situation darstellt, finde ich um so bedauerlicher als ich meine, daß eine adäquate Analyse männlicher Subjektivität ein wichtiges Instrument antisexistischer Politik sein könnte.